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Alles eine Frage des Preises

„Schwerlich wird sich in der kapitalistischen Welt eine Branche finden lassen, die so sonderbar ist wie die Verlegerei“, stellt Hans Magnus Enzensberger in seinem Essay Bücher á la carte fest. „Die Bezahlung ist meist schlecht, die Renditen sind minimal und die Risiken mörderisch.“

Ähnliches wurde am Buchcamp in Frankfurt konstatiert. Auch hier fragten sich die Bücherfrauen und die Teilnehmer ihrer Session „Arbeitsmodelle der Zukunft“, warum Verlage für ihre Bücher nicht adäquate Preise verlangen. Preise, die den Aufwand, der darin steckt, auch widerspiegeln und die wirtschaftliche Basis sowohl für die Verlage als auch für die Mitarbeiter sichern. „Man kann durchaus für ein Buch, das üblicherweise 9,90€ kostet, 14,90€ verlangen“, sagte eine Teilnehmerin. Sie habe es ausprobiert: „Es funktioniert. Das Buch wird gekauft.“

Gleich argumentiert auch Hans Magnus Enzensberger, wenn er sagt: „Jahrzehntelang galt in Deutschland ein Ladenpreis von fünfzig Mark als magische Schwelle. Keinen Pfennig mehr durfte ein ordentlich gebundener Roman kosten! Davon war die ganze Branche überzeugt. Eisern hielt man sich an die heilige Schwelle von 49,80. Die wenigsten haben die Probe aufs Exempel gemacht und Bücher veröffentlicht, die 54, 56 oder 58 Mark kosteten, und was ist passiert? Zur allgemeinen Überraschung hat das Publikum diese Preise akzeptiert.“ (S. 261). Über die Richtigkeit dieser Behauptung zu mutmaßen, ist müßig. Denn immer muss man sich fragen, wie viel hätte man verkaufen können, wenn der Preis niedriger gelegen hätte. Dies bleibt im Bereich der Spekulation. Erfahrungswerte im direkten Vergleich gibt es nicht. Die Buchpreisbindung verhindert dies. Ist der Preis einmal festgesetzt, hat man sich daran zu halten. Flexibel auf die Nachfrage reagieren, wie es in anderen Branchen und bei anderen Produkten selbstverständlich ist, geht hier nicht.

Dabei kann der Preis als wichtiges Kommunikationsmittel mit dem Kunden angesehen werden. Preisfindung ist eine Frage der Verständigung zwischen Anbieter und Nachfrager, vielleicht sogar des Aushandelns. Mit der Buchpreisbindung werden aber die gängigen Mittel der Preisfindung außer Kraft gesetzt. Die Buchbranche ist damit eines wichtigen – vielleicht sogar dem wichtigsten – Kommunikationsmittel mit ihren Kunden beraubt. Über den Preis spricht man nicht. Wie verkümmert das Kommunikationsmittel „Preis“ in der Buchbranche ist, zeigt die Nicht-Anwendbarkeit einer alten und nahezu immer gültigen Regel – nämlich: Bei Unsicherheit ist der Preis ein Qualitätssignal. Und damit also sogar verkaufsentscheidend. D.h. wenn ich als Käufer unsicher bin, welche Schuhe, welcher Anzug, welches Steak oder welcher Fernseher qualitativ besser ist, dann nehme ich (sofern ich an Qualität interessiert bin) das teurere Produkt, weil der höhere Preis der entscheidende Anhaltspunkt für die höhere Qualität ist. Bei Büchern ist das nicht so.

Hier wird Qualität durch höherwertige Ausstattung angezeigt und damit der höhere Preis argumentiert. Hardcover, Fadenheftung, Lesebändchen, Leinen und Prägung – allesamt Anzeichen von Qualität. Dieser Ansatz, den höheren Preis über die Aufmachung zu rechtfertigen, führt zu einer absurden Situation. Eine Branche, die Inhalte verkauft, definiert ihre Preise über Verpackung. Beim Metzger kostet die Salami immer gleich. Egal, ob er sie in Zellophan wickelt oder in schnödes Brotzeitpapier. Der Metzger weiß, was sein Produkt ist. Er handelt mit Inhalt, nicht mit Verpackung. Jetzt könnte man sagen, naja ist egal, Verlage und Leser haben sich doch seit langem an das Spielchen um Hardcover und Paperback gewöhnt. Die Buchbranche hat damit doch ein funktionierendes Mittel gefunden, für ein Produkt (Inhalt) unterschiedliche Preise durchzusetzen und die Nachfrage voll auszuschöpfen. Auf den ersten Blick stimmt das. Schaut man genauer hin, sieht man, dass die Buchbranche mit der Argumentation ihrer Preise über Verpackung eine Fokusverschiebung weg vom Inhalt vorgenommen hat, deren Folgen sie momentan zu spüren bekommt. Denn wenn nun die Leser, die Diskussion darüber, was ein eBook kosten darf, vom Format, also von der Verpackung her führen, dann ist dies nur eine folgerichtige Fortführung der Argumentation, die die Verlage selbst über Jahrzehnte angewandt haben. Es ist eine Diskussion über Fragen der Herstellung der Formate. Es geht um Fragen der Verpackung. Nicht um Inhalte. Die Verlage haben diese Logik vorgegeben. Sie dürfen sich jetzt nicht darüber wundern, dass in der Preisdiskussion über Verpackung argumentiert wird.

Es ist höchste Zeit endlich über die Qualität der Inhalte zu sprechen und darüber die Preise der Bücher festzulegen. Wenn die Preisfindung in der Buchbranche, wie Eingangs besprochen, weniger auf Empirie und vergleichbaren Erfahrungen beruht, denn auf Annahmen, dann hat dies einen unglaublichen Vorteil. Annahmen lassen sich ändern, Empirie nicht. Nötig sind lediglich Ideen und Konzepte. Und Mut, sie umzusetzen. Falls es Verlegern daran mangelt, kann Hans Magnus Enzensberger – bei ersterem zumindest – aushelfen. Sein Vorschlag: nicht länger Fast Food und Haute Cuisine zum gleichen Preis zu verkaufen.

„Wie im Fall der Gastronomie haben es die literarischen Verleger mit einem gespaltenen Markt zu tun, nur dass sie diese Tatsache ignoriert haben, statt, wie die Wirte, mutig damit umzugehen. Die Buchproduktion ist, soweit ich sehen kann, die einzige Branche, bei der – um im Bild zu bleiben – ein Hamburger genauso viel kostet wie ein Tournedos und eine Portion Pommes frites so viel wie eine getrüffelte Pastete. Wohin wir auch blicken, ob es sich um Kleider handelt, Schmuck, Porzellan, Möbel, überall ist erstklassige Qualität teurer als der Schund, nur bei den Büchern nicht.“ (S. 260). Das wäre doch ein Ansatz, der weiterverfolgt werden kann. Bücher im Hochpreissegment, weil ihre inhaltliche Qualität dies rechtfertigt (und nicht ihr hübscher Einband). Und billige Mainstreambücher vom Krabbeltisch. „Bei Büchern ist das eine neue Idee, und wie alle neuen Ideen ist sie gewöhnungsbedürftig.“ Aber einige Experimente wäre die Idee durchaus wert. Denn wie steht im gleichen Essay: nötig sind „ein bisschen weniger Routine und ein bisschen mehr Phantasie“ (S. 262).

Hans Magnus Enzensbergers wunderbarer Essay „Bücher á la carte“ ist in dem Band „Hans Magnus Enzensberger: Scharmützel und Scholien. Über Literatur“ 2009 bei Suhrkamp erschienen. Nahezu 1000 Seiten in einer nicht gerade hübschen Paperback-Ausgabe für 25 €. Ich hätte dafür auch 50 € bezahlt. 1000 Seiten erfrischende, nachdenkliche und zum Nachdenken anregende Lektüre, die ich jedem nur empfehlen kann.

Published inInnovation - gedacht, gesagt, getan