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Einfach mal wo dazugehören

An einem Streetview Literatur Lesungsabend im Sommer 2011 schrieben einige Autoren aus dem Input des Publikums spontane Improtexte. Ich hatte die Zuhörer gefragt, mit welchen Orten in München sie etwas verbinden und was sie dort konkret erlebt haben. Die Zuhörer notierten ihre Orte und Erlebnisse auf kleine Zettel, aus denen sich die Autoren Wegstrecken zusammenstellten und Geschichten formulierten. Die daraus entstandenen Texte schöpfen also aus realen Erlebnissen in der Stadt und verarbeiten diese zu fiktiven Geschichten. Die Improtexte verdoppeln das Spiel zwischen „fiktiv“ und „real“, wie es in Streetview Literatur angelegt ist, auf besondere Weise.

Einen dieser Improtexte liebe ich ganz besonders. Deshalb möchte ich ihn hier vorstellen: Tanja Gronde zauberte u.a. aus folgenden Textschnipseln

– Untergiesing: Verzweiflung
– Fünf Höfe: Date / 10 Cocktails / kein Gefühl (Arno)
– Alter Botanischer Garten: laue Sommernacht, schwer verliebt, Abkühlung im Brunnen bei Vollmond (Sabrina)
– Dieses Fleckchen hier (Art Babel): ein schönes Schmuddelfleckchen in der geschleckten Glitzerstadt

… diesen Text, der im Art Babel endet, in dem wir damals alle saßen und das Gefühl hatten, Bea – die Hauptfigur – zur Tür hereinkommen zu sehen und mit dabei zu sein, als sie rüberging zum Tresen und sich ein Bier bestellte.

 

Bea

will endlich mal irgendwo dazugehören.

Das Geräusch der Tram! Ich schrecke hoch, Sekunden Schlaf, kein Wunder nach dieser Nacht, diesem Tag, wann hab ich eigentlich das letzte Mal geschlafen, keine Ahnung, Mir ist kotzschlecht, Kotz – kotz schlecht, Finger weg von Cocktails, Männern und Dingen, die mich nichts angehen. Um mich herum tragen die letzten ihre Lodenfrey und Theresa Tüten spazieren, stolze Beute, Sale Schnäppchen, triumphierend, oberflächlich, buh!

Warum hab ich jetzt schon wieder das Gefühl hier nicht her zu gehören? Dunkle Suppe tropft über meinen Ärmel. Schad um die weiße Sweatshirtjacke, muss ich dann wohl mal wieder waschen, Kaffee geht doch so schwer raus.

Aufraffen, babe! Nächste Trambahn nehmen, warum bauen die eigentlich hier und muss das jetzt sein, stickige Luft im Ersatzbus, Kinderwagen an Kinderwagen und ach dieses Gelächter, meine Melancholie hat hier keinen Platz.

Muss an gestern denken, Schyrenbad, nachts über den Zaun gestiegen. Sich fühlen wie damals mit 14, als wir die Clique rübermachten über den Drahtzaun, die Bierflaschen klimperten im Rucksack. Badesachen, Handtücher waren was für Spießer.

Wir hatten Bier, Paper und das Gras war sicher verstaut! Mensch und dann dieser Typ der hinter den Bäumen vorkam, gestern Nacht, da knutscht man hemmungslos nach einem kühlen Bad und der scheiß Spanner macht alles kaputt!

Ich wie elektrisiert ab durch die Mitte.

Irgendwas kratzt in meinen Erinnerungen, jetzt nicht dran denken.

Ich muss wie verrückt gelaufen sein, Isar abwärts rennen, rennen, renn Maximilianeum, Mensch da schwitzen jetzt die Einser-Stipendiaten dacht ich noch, trotz meiner Panik – Mensch einmal dazugehören zu irgendwas, wenn’s auch nur die Streber sind! Aber das hab ich wohl versaut. Wahrscheinlich auch wegen der Grasparties im Schyrenbad. Abinachprüfung hab ich mir dann gespart.

Jetzt ist das ja auch nicht mehr wichtig.

Verrückt was einem für Nostalgie-Gedanken kommen, wenn man voller Verzweiflung aus Untergiesing losrennt. Das wird ja jetzt auch so ein Inviertel renn ich, denk ich, stop!

Und das Stop eben ausgerechnet bei den Fünf Höfen. Der Rest des Abends liegt in meinem Kopf verborgen zwischen Cocktails und Zigaretten. Und jetzt? In diesem Ersatzverkehr sitzen. – Ich hasse Busfahren, erinnert mich an diese schrecklichen Klassenfahrten, wo die Coolen hinten saßen. Die Streber vorne und ich mir in der Mitte meiner Unzugehörigkeit bewusst war. Bewusstsein ist eine tückische Erfindung meines Egos, man sollte viel mehr unbewusst machen.

Aussteigen am Hauptbahnhof. Wieder Großbaustelle! Reißen die eigentlich die Stadt ab, graben die einen Tunnel, zweite Stammstrecke inkognito? Ich schlepp mich im Sonnenuntergang Richtung Parkcafe. Am Charles Hotel vorbei. Wow, da lassen sie jetzt wieder die Araber raus, richtig ist ja Ramadam! Und Sommer und München. Die Sommerresidenz von Scheichs aus dem Oman oder was weiß ich. Mensch da! Dazugehören!

Ich setz mich ermattet auf die Parkbank, den großen Ring im Blick, also theoretisch. Praktisch dann doch viel Grün und Bäume drum rum. Hier also war mal ein Botanischer Garten. Jetzt nur Gratler unterwegs und Liebende. Sehe ein Pärchen. Mann sind die verliebt, lassen sich ja gar nicht mehr los, engumschlungen liegen. Bin ich jetzt auch ein Spanner… Ich nenn´s jetzt mal Sozialforschung. Die beiden verlassen ihre Picknickdecke, nehmen wohlerzogen ihren Dreck mit, packen gemütlich ein, ständig Händchenhalten, Kuss hier, Knutsch dort. Kotzübel wird mir da, kotzübel. Wetten, die nehmen heut noch ein Bad im Brunnen. – Wie steht der Mond eigentlich? Ist bald Vollmond? Würd zu meiner Heulstimmung passen.

Mensch, jetzt am Friedhof heulen mit den Werwölfen. Das wär´s doch! Rennen zur Tram getrieben von meiner unglaublich originellen Spontan-Idee! Nummer 20 kommt und kommt nicht. Moosach. Endlich. Einsteigen. Sitzplatz suchen, lieber Holztisch als diese ekligen blauen Siffbezüge, wo meine Nylonhose wieder klebt und mich daran erinnert, dass ich seit Tagen weder daheim war, noch geduscht habe, noch noch noch…

Die Trambahn ruckelt an. Mann, ist mir schlecht, das schaff ich keine zwei Stationen. Stimmt! Ich kotze in die Tram! Mann, ist mir das peinlich. Gut, dass sie hält. Beschämtes Rausschleichen an der Haltestelle: Da wo dieser absurde Brunnen mitten auf so ´ner Verkehrsinsel steht. Mit dem Karpfenreiter. Puh, wenigstens ist mir jetzt nicht mehr so schlecht. Tauche meinen Kopf in den Brunnen. Jetzt einfach einatmen, dann wär´s vorbei und morgen im Polizeibericht. Frau ertränkt sich in Münchens kleinstem Brunnen oder so!

Mensch, einmal Schlagzeile, einmal berühmt für 20 Sekunden. – Meine Hommage an Andy Warhol. Gut, ich würd nicht mehr viel davon haben, aber ich käm in die Schlagzeilen

München: Zu einem tragischen Unfall kam es am späten Donnerstagabend in der Maxvorstadt, ist das hier Maxvorstadt? Eine leicht bekleidete Frau fiel aus bislang ungeklärten Umständen in den Karpfenreiterbrunnen und ertrank!

Ich reiß mich von dem Gedanken los und den Kopf aus dem Wasser. Beim Norkauer ist noch Licht. Ich hab hier vor Ewigkeiten mal Tapeten gekauft. Bauhaustapete. Die sahen an meiner buckligen Altbauwand richtig scheiße aus.

Applaus. Ich höre Menschen in die Hände klatschen. Danke, meine Freunde, Danke.

Magisch angezogen vom Applaus stolpere durch eine Tür. Menschen sitzen auf Holzstühlen und lauschen Männern beim Lesen

Cool! Reinmüssen.

Den Norkauer gibt’s nicht mehr, ist jetzt zum Abriss freigegeben. Und instand besetzt! Cool. Gibt ja doch so was wie Subkultur in der Stadt. MIT BAR!!!!!

Bier.
Jetzt.
Rettung.
Setze mich hin.
Trink mein Augustiner.
Mensch, irgendwie ganz schön viel kaputt hier!

Ahh, Ankommen!
Endlich dazugehören!

Published inStreetview Literatur - Stadt lesen