Zuerst gab es einen Tweetup in einer Ausstellung, die es gar nicht gibt. Jetzt gibt es aus den dort entstandenen Tweets den literarischen Text „Engelvariationen“.
Im Oktober 2013 fand im Haus der Kunst ein Tweetup statt, der eigens dafür konzipiert und durchgeführt wurde, um aus den entstehenden Tweets Literatur zu machen. Durchgeführt haben ihn die Kulturkonsorten. Und das Besondere an diesem Tweetup war, dass von einer Ausstellung, die gar nie existierte, getwittert wurde. Im Haus der Kunst erwartete die Teilnehmer tatsächlich nur ein leerer Raum. Dort fanden sich elf geladene Gäste ein, zwei weitere waren virtuell über Twitter mit dabei. Jeder Teilnehmer hatte sich vorbereitet und ein Kunstwerk ausgewählt, das er in seinen Tweets vorstellte. Da entstand eine bunte Mischung von Paul Klee, Günther Uecker, Christian Rohlfs, Paul Kos, Roni Horn, Kasimir Malewitsch, Jean Dubuffet, Andy Warhol, bis Oswald M. Ungers, Cy Twombly, Thomas Ruff und Marc Chagall (hier die Liste der einzelnen Werke). Ein professioneller Guide – nämlich Stefan-Maria Mittendorf – führte wunderbar durch diese vielfältige Auswahl und erzählte zu den Werken. Er stellte die virtuelle Ausstellung vor das geistige Auge, da es für das echte Auge ja nichts zu sehen gab.
Thema dieser nicht vorhandenen Ausstellung war „Abstraktion“ und das war auch genau das, was wir dort gemacht haben: wir haben Abstraktion praktiziert, uns also nicht nur digital und theoretisch darüber ausgetauscht, was Abstraktion ist oder uns gar einige Beispiele dazu angesehen, sondern wir haben tatsächlich im Imaginieren und Be-/Verarbeiten der einzelnen Werke erfahren, wie Abstraktion funktioniert. Das war eine anstrengende, aber auch rauschhafte Angelegenheit (wie es einzelne Teilnehmer benannt haben). Am Schluss sind aus all der Anstrengung um die 1000 Tweets entstanden. Eine enorme Anzahl an Kurzmitteilungen, die von den geladenen Teilnehmern und vielen anderen Zuschauern und Mitlesern im Netz verfasst wurden.
Aus diesen 1000 mit dem Hashtag #outofblue versehenen Tweets habe ich im Nachgang einen literarischen Text erarbeitet. Rein durch Auswahl, Verkürzen, Arrangieren und das Wiederholen einzelner Tweets. Ohne eigenen, von mir selbst verfassten Text hinzuzufügen. Natürlich wurde auch der Titel des Textes einem Tweet entnommen: „Engelvariationen“ – was könnte treffender sein für einen Text, dem es um Abstraktion geht. Denn der Text ist genauso wie die Veranstaltung im Haus der Kunst darauf ausgelegt, Abstraktion zu erleben. Der Text ist keine Dokumentation des Tweetups, sondern ein Praktizieren dessen, was auch im Tweetup praktiziert wurde: der Abstraktion. Statt ein Abbild zu liefern, fordert er zu einem Erlebnis auf. Das kann anstrengend sein, aber ohne Anstrengung ist „der Rausch“ nicht zu haben.
Die „Engelvariationen“ gibt es natürlich in verschiedenen Variationen – digital als „Bild“ oder in der Printversion als Poster. Enjoy!