Was bedeutet „digitale Bildung“?
– oder besser: Was muss „digitale Bildung“ bedeuten?
Überall ist von der digitalen Bildung die Rede und der Frage, wie die schulische, aber auch berufliche (Weiter-) Bildung mit digitalen Mitteln umgesetzt, verbessert, erneuert werden kann. Doch Bildung ist ja kein Selbstzweck. Deshalb müsste die Frage eigentlich nicht lauten, wie mache ich das, was ich schon immer tue, mit neuen Mitteln. Sondern die Frage ist, wie bereiten wir uns (unsere Schüler, aber auch uns Erwachsene) auf ein Leben im digitalen Zeitalter vor. Was muss Bildung im digitalen Zeitalter leisten? Oder noch konkreter: Was muss Bildung leisten, damit ein Leben im digitalen Zeitalter gelingen kann?
Unser Bildungssystem erzieht uns heute zu sehr guten Erfüllern von Aufträgen. Egal, ob in Schule, Studium oder Beruf – wir werden auf das Ausführen von Aufgaben vorbereitet. Jobs, in denen gute Aufgabenerfüller gebraucht werden, wird es aber schon sehr bald bei uns nicht mehr geben. Sie werden entweder automatisiert oder endgültig nach Bratislava oder Bangalore ausgelagert. Digitalisierung und Globalisierung schaffen auf unserem Arbeitsmarkt effizientere und billigere Alternativen. Dass dies schon lange nicht mehr nur für Arbeiter-, sondern auch für die gut bezahlten Angestelltenjobs gilt, können wir inzwischen in den Unternehmen direkt beobachten. Jobs, die es weiterhin und sogar in gesteigertem Maße bei uns geben wird, basieren dagegen auf der Fähigkeit, Lösungen für bestehende Probleme und Ideen für Innovationen zu entwickeln und darauf, diese Ideen und Lösungen umzusetzen. Es geht darum, Neues zu erschaffen. Es geht ums Machen und darum, die Welt zu gestalten. Die Digitalisierung macht die Welt für uns in einem bisher nicht bekannten Maße gestaltbar. Nur wer die Fähigkeiten des Formens und Gestaltens beherrscht, wird sich im digitalen Zeitalter zurechtfinden.
Aber was brauchen wir dazu, um statt zu Aufgabenerfüllern zu Problemlösern oder gar zu Gestaltern zu werden?
Natürlich brauchen wir nach wie vor Wissen über die verschiedensten Bereiche und Spezialgebiete. Wer Probleme lösen möchte, muss sie erst einmal verstehen und analysieren können. Wer neue Ideen entwickeln möchte, braucht erst einmal ausreichend Material an Grundbausteinen, die er kreativ und ungewöhnlich zu Neuem zusammensetzen kann.
Dazu kommt eine Vielzahl an Fähigkeiten und Kompetenzen, die weit über das reine Wissen über Dinge hinausgeht. Programmieren, Sprachen sprechen, Diskussionen moderieren, Bedürfnisse erkennen – die eigenen und die anderer, Geschäftsmodelle entwickeln: in all diesen Bereichen genügt es nicht darüber Bescheid zu wissen, wie es geht. Man muss es tun. Zu schwimmen, ist etwas Anderes als zu wissen, wie man schwimmt. Für erfolgreiches Handeln braucht es weit mehr und anderes als nur einen klugen Kopf.
All unser Wissen und unsere Fähigkeiten zu Handeln und zu Gestalten laufen ins Leere ohne eine dritte Ebene digitaler Bildung: dem Vermögen, Ziele festsetzen zu können. Bin ich nicht in der Lage, mein Ziel zu identifizieren, bleibe ich immer aufs Aufgaben und Aufträge erfüllen festgelegt. Das Finden und Benennen eines sinnvollen Ziels ist die entscheidende Herausforderung auf dem Weg zum kreativ denkenden und schaffenden Menschen. Und sie ist der schwerste Schritt. Der Schritt, an dem die allermeisten Menschen heute stolpern. Wie viele Menschen, die fest im Arbeitsleben stecken, die kompetent sind und tragende Säulen im Arbeitsprozess, kennen Sie, die sich beruflich gerne verändern würden, aber nicht wissen wohin?
Wieso wissen wir nicht, was wir wirklich wollen? Weil wir nicht wissen, wer wir wirklich sind – so meine Vermutung. Wir wissen nicht, wer wir sind, was wir können und was wir wollen, weil unsere (Aus-) Bildung darauf überhaupt kein Augenmerk legt. Unsere Persönlichkeit ist ein dunkler, unbeleuchteter Fleck unseres Bildungssystems. Wie kann das sein, wo doch das was wir sein und leisten können, ganz zentral mit unserer Persönlichkeit zusammenhängt – aus unserer Persönlichkeit kommt? Digitale Bildung muss dringend Raum schaffen, für den Blick auf die eigene Persönlichkeit: eingebettet und verwurzelt in der Welt, in der Natur, in der Gemeinschaft. Unsere Persönlichkeit, ihre (Aus-)Bildung und Entwicklung muss die Basis jeglicher Bildung sein. Sie ist das Fundament, auf dem allein ein Leben im digitalen Zeitalter gelingen kann.
Und sie legt die Basis für Exzellenz in unserer Gesellschaft. Natürlich kann nicht jeder von uns alles. Aber jeder kann bestimmte Dinge besonders gut. Dieses Besondere gilt es zu entwickeln und bis zur Exzellenz, also einer Leistung die weit über das sonst im Schul- und (Aus-) Bildungszusammenhang Erreichte hinausweist. Sich orientieren an dem, was ich kann, und dem, was meine Persönlichkeit hergibt, um mich mit meinen besonderen Fähigkeiten, meinem speziellen Wissen, meiner individuellen Handlungs- und Gestaltungskraft mit anderen zusammenzutun, um sich gegenseitig zu ergänzen – das ist der Ansatz, der die Bildung im digitalen Zeitalter prägen muss.
Ausgehend von dem starken Fundament der individuellen Persönlichkeit müssen wir unsere Bildung (die schulische, aber auch die berufliche) dringend vom Kopf auf die Füße stellen. Dass wir dies schaffen, indem wir immer mehr digitale Hilfsmittel in Klassenzimmer und Seminarräume holen, darf zumindest bezweifelt werden.